Friday 23 July 2010

Beschwichtigungssignale und Friedensgesten

Schon seit einiger Zeit geht mir dieses Thema nicht mehr aus dem Kopf. Deswegen mache ich an dieser Stelle den Anfang für eine kleine Zusammenstellung solcher Gesten und Signale, die heute als Höflichkeitsformalitäten unseren Alltag bestimmen. Wir benutzen sie auf Schritt und Tritt, ohne darüber nachzudenken, aber wenn man sie sich mal genauer betrachtet, dann verraten sie viel über ihre Herkunft und vor allem ihre eigentliche Bedeutung.
Denn im Grunde lässt sich in vielen Gesten und Ritualen, Regeln und Vorschriften immernoch der praktische Sinn, den sie einmal hatten, erkennen, auch wenn dieser Sinn heute längst verloren gegangen ist, - zum Glück muß man größtenteils sagen.
Mir geht es dabei darum, auch für mich selbst, eine kleine Zusammenfassung zu erstellen, um meine Gedanken zu ordnen.

Genaugenommen sind es zwei Dinge, die mich eigentlich zum Nachdenken über das Thema angeregt haben.

Erstens ist das die japanische Kampfkunst, die ich nun schon seit etlichen Jahren ausgiebig praktiziere, und Zweitens eine Beobachtung, die ich unlängst  auf  einem Supermarktparkplatz gemacht habe.

Zur Kampfkunst will ich nur soviel sagen, daß es in jedem Dojo eine Etikette gibt, die vorgibt, wie man sich innerhalb dieses Raumes und während des Übens optimalerweise zu verhalten hat. Diese Etikette mag  uns modernen Europäern auf den ersten Blick oft seltsam erscheinen, weil sie der uns fremden japanischen Kultur entstammt. Bei genauer Betrachtung (und entsprechender Erläuterung durch den Lehrer) entpuppen sich aber alle diese Rituale früher oder später als ungemein sinnvoll und praktisch,- besonders, wenn man bedenkt, daß es sich bei Kampfkünsten ja grundsätzlich um Kriegskünste handelt und daß das ursprüngliche Ziel eines jeden Kampfkünstlers nichts weniger als das nackte Überleben war.

Und bei noch genauerem Hinschauen kann man solche Rituale auch in unserem westlichen Kulturkreis bis auf den heutigen Tag entdecken. Hier sehen sie z.T. etwas anders aus, verfolgen aber den gleichen Zweck:
 Es geht darum, ein Gegenüber, welchem nicht von vornherein vertraut wird, richtig einzuorden und nach Bedarf seinerseits dieses Gegenüber von der eigenen Ungefährlichkeit zu überzeugen sodaß eine Basis für eine mehr oder weniger vertrauensvolle Begegnung entsteht.

Das führt mich weiter zu meiner Parkplatzbeobachtung:
Zwei junge, arabisch aussehende Männer begegneten sich. Die beiden kannten sich wohl oder waren vielleicht sogar verwandt.
Zur Begrüßung gaben sie sich die rechte Hand und noch während sie sich an der Hand hielten umarmten sie sich rechts und links, - aber moment mal, war das wirklich eine Umarmung?
Was taten die da eigentlich? Sie hielten die rechte Hand (die Waffenhand!) des Gegenüber und schauten sich gegenseitig über die Schulter, bzw. ließen es zu, daß der jeweils andere über die eigene Schulter schaut.
Heißt das soviel wie: "Ich  gebe mich Dir  in die Hand und beweise dir meine friedliche Absicht dadurch, daß ich dich auch über meine Schulter schauen lasse, um zu zeigen, daß ich weder eine Waffe in der Hand trage, noch eine hinter meinem Rücken verstecke und da wir das beide gleichzeitig tun, begegnen wir uns auf Augenhöhe" ?
Demnach wäre der soganannte Bruderkuss kein Beweis von Zuneigung sondern lediglich ein Zurschaustellen der friedlichen Absicht.
Genauso verhielte es sich dann mit dem bei uns üblichen Händeschütteln. Warum bieten wir die rechte Hand an während das Angebot der Linken als unhöflich gilt?
Die meisten Menschen sind Rechtshänder und würden eine Waffe oder einen Schlag vorzugsweise mit der Rechten (aus)führen.

Warum gilt es als schlechtes Benehmen, wenn Männer  in geschlossenen Räumen die Kopfbedeckung aufbehalten? Darunter könnte eine Waffe versteckt sein. Frauen hingegen wurden nicht als potentielle Nahkampf - Gegnerinnen eingestuft, durften ihren Kopfputz aufbehalten, - und dürfen es bis heute.
Etwas Ähnliches dürfte es mit der Geste des Hut-Lüftens bei der Begrüßung auf sich haben: "Sie her, ich habe nichts Gefährliches unter dem Hut versteckt." 

Bei Tisch wird gemeinsam mit dem Essen begonnen und gemeinsam geendet, - natürlich erst, nachdem jede mit jedem zünftig angestossen hat.
Das gemeinsame Essen hatte wohl die Funktion, daß man sich während der Mahlzeit gegenseitig im Auge behalten konnte, denn Essen und Trinken macht schwach und unaufmerksam. Das sieht man schon in der Tierwelt, wo viele Jäger ihrer Beute mit Vorliebe an Wasserstellen auflauern, um sie in einem unaufmerksamen Moment beim Trinken zu überrumpeln.
Wenn nun alle gleichzeitig essen und trinken, befindet sich niemand in einer überlegenen Position.
Mit den Gläsern und Bierkrügen wird kräftig angestoßen, - am besten so kräftig, daß die Getränke überschwappen und sich etwas vermischen können. So verringert sich die Möglichkeit, den Mitmenschen Gift ins Getränk mischen zu können, ohne sich selbst zu gefährden.
Etwas Ähnliches dürfte die Grundlage des "Brüderschaft-Trinkens" sein. Das heißt "wir vertrauen einander jetzt so sehr, daß wir jeweils aus dem Glas des anderen trinken, denn selbstverständlich hat keiner von beiden dem anderen etwas ins Glas getan."

Hände auf den Tisch!
Es gilt als unhöflich, wenn beim Essen nicht beide Hände oberhalb der Tischkante  sichtbar sind, denn unter dem Tisch versteckte Hände könnten  im Verborgenen mit der Vorbereitung eines Angriffes beschäftigt sein, - Vetrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
...
...mal sehen, ob mir noch mehr einfällt...

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